Gedicht über einen Weg

Da die Weihnachtszeit die Zeit der Gedichte ist, habe ich ein altes oft gehörtes aber – wie ich finde – immer noch aktuelles Gedicht wiederentdeckt. Es stammt von Sogyal Rinpoche (tibetischer Meditationsmeister, geb. 1948), der es in seinem Buch „Das tibetanische Buch vom Leben und Sterben: Ein Schlüssel zum tieferen Verständnis von Leben und Tod“ geschrieben hat.

 

 

Ich gehe einen Weg entlang.

Da ist ein tiefes Loch auf dem Weg.
Ich falle hinein.
Ich bin verloren, bin ohne Hoffnung.
Es ist nicht meine Schuld.
Es dauert endlos, um wieder herauszukommen.

Ich gehe den selben Weg.
Da ist ein tiefes Loch auf dem Weg.
Ich tue so als ob ich das Loch nicht sehe.
Ich falle wieder hinein.
Ich kann nicht glauben schon wieder am selben Ort zu sein.
Aber es ist nicht meine Schuld.
Immer noch dauert es lange wieder herauszukommen.

Ich gehe den gleichen Weg entlang.
Da ist ein Loch auf dem Weg.
Ich sehe es.
Ich falle trotzdem hinein, aus Gewohnheit.
Meine Augen sind offen, ich weiss wo ich bin.
Es ist meine eigene Schuld.
Ich komme sofort wieder heraus.

Ich gehe den gleichen Weg entlang.
Da ist ein Loch auf dem Weg.
Ich  gehe darum herum.

Ich gehe einen anderen Weg.